Reinhold Tüxen
von Richard Pott, Hannover
Reinhold Hermann Hans Tüxen wurde am 21. 5. 1899 in Ulsnis (Schleswig-Holstein) als Sohn von Hermann Christian Tüxen (Lehrer) und Anna Catharina Tüxen geb. Lüthge, geboren. Tüxens Schulzeit endete 1917 mit kriegsbedingtem Notabitur. Von 1919-1925 studierte er Chemie, Geologie, Botanik, Zoologie und Klassische Archäologie an der Universität Heidelberg, wo er 1925 mit einer chemischen Arbeit bei Theodor Curtius zum Dr. phil. promoviert wurde. Im selben Jahr heiratete er Johanna Tüxen geb. Berger, aus Haltingen (Baden). Aus der Ehe gingen drei Söhne hervor: Dr. Jes Tüxen (1929-2015), Fritz Tüxen und Hans Tüxen.
Im Jahre 1925 erfolgte die Berufung an das „Provinzialmuseum" in Hannover, wo er die „Provinzialstelle für Naturschutz" aufbaute. 1929 habilitierte sich Tüxen an der Tierärztlichen Hochschule in Hannover mit einer Arbeit über „Grünlandassoziationen Nordwestdeutschlands". Als Basis für die Naturschutzarbeit war mit der Vegetationskartierung Nordwestdeutschlands begonnen worden; bereits 1934 lagen 75 Kartenblätter 1:25 000 fertig vor. Aus heutiger Sicht war dies ein Meilenstein für die naturräumliche Erfassung von Landschaften mit ihren Vegetationstypen und ihren Böden; eine nie zuvor verwirklichte Möglichkeit - auch zur Auswertung von Luftbildern. Im Sommer 1934 waren bereits 42 Hilfskräfte als Kartierer eingesetzt und von Tüxen zu betreuen (WILMANNS 1980). Dieser Erfolg führte 1939 zur Gründung der „Zentralstelle für die Vegetationskartierung des Reiches", der späteren Bundesanstalt für Vegetationskartierung, dessen Leiter R. Tüxen von 1939 bis 1964 war. Zunächst in Hannover, wurde sie 1943 kriegsbedingt nach Stolzenau/Weser ausgelagert und von ihm dort nach dem Krieg zu einem internationalen Zentrum der Pflanzensoziologie entwickelt.
Im gleichen Jahr 1939 wurde Tüxen zum außerplanmäßigen Professor (apl. Prof.) an der Tierärztlichen Hochschule Hannover ernannt.
In der NS-Zeit hat Tüxen in den Jahren 1942/43 in den Berichten der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover einen Arbeitsbericht publiziert, in dem er seine verschiedenen Projekte aus den Jahren zuvor präsentiert. Darin ist eine Übersichtskarte enthalten mit allen Orten, an denen pflanzensoziologisch kartiert wurde, und dazu gibt es eine Legende. Zu den Orten, an denen kartiert wurde, zählen das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg und Auschwitz; die örtliche Bearbeiterin dort war Margita von Rochow, später verheiratete Villaret-von Rochow. Das alles ist von Tüxen publiziert und kein Geheimnis. Daraus lässt sich aber nur schließen, dass Tüxen Projektmittel bekam, also staatliche Aufträge erfüllte, bei denen es nicht um Ideologie ging. Dabei hat er auf großartige Weise Grundlagen der Pflanzensoziologie gelegt. Auch in dem Artikel von 1942/43 geht es rein um Wissenschaft und Wissenschaftsorganisation. Damals war von staatlicher Seite übrigens noch nicht beschlossen, dass Auschwitz zum Vernichtungslager werden sollte.
Wegen seiner damals bereits hohen wissenschaftlichen Reputation wurde Tüxen in der NS-Zeit mit Planungen für die Begrünung der neuen Autobahnen befasst, verantwortlich war seiner Zeit vor allem Prof. Dr. Alwin Seifert (1890-1972), der nach dem Krieg lange Ordinarius für Landschaftsarchitektur in München war, hatte sich in den 1920er Jahren autodidaktisch als Landschaftsarchitekt ausgebildet (ein Studium dafür gab es da noch nicht), war aber stark von Ideen des Heimat- und Naturschutzes und auch der Anthroposophie beeinflusst, und war sehr ehrgeizig. Eines seiner Ziele war, die ab 1933 gebauten Reichsautobahnen (deren Konzept aber schon Ende der 1920er Jahre entwickelt worden war), "landschaftsgerecht zu trassieren" und "naturgemäß einzugrünen bzw. zu bepflanzen". Er konnte davon den für den Autobahnbau zuständigen NS-Generalinspekteur für das deutsche Straßenwesen Fritz Todt (1881-1942) überzeugen, der ihn daraufhin als Landschaftsarchitekt in seinen Stab berief und ihm weitgehend freie Hand ließ. Für die naturgemäße Eingrünung bzw. Bepflanzung stieß Seifert auf Tüxens Konzept der potenziellen natürlichen Vegetation und erteilte Tüxen den Auftrag, daraus Bepflanzungsvorschläge für die Autobahntrassen in den verschiedenen Gebieten zu entwickeln. Für Tüxen und seine Mitarbeiter war der Auftrag in jenen Jahren finanziell lukrativ und hat auch das PNV-Konzept gefördert. Aber mit "Nazi-Ideologie" oder gar Nazi-Verflechtung hatte der Auftrag nichts zu tun.
Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Haber (München) hatte mit Seifert nach seiner Berufung nach Weihenstephan mehrfach persönliche Kontakte, bei denen er ihm auch von seiner Tätigkeit beim Autobahnbau erzählte, Tüxen aber nur beiläufig erwähnte. Sein Eindruck war, dass Seifert mit Tüxen nur wenige persönliche Begegnungen gehabt haben dürfte.
Reinhold Tüxen gilt als Begründer der modernen Pflanzensoziologie in Deutschland. Aufgrund regelmäßiger Besuche hatte er 1927 bei Josias Braun-Blanquet (1884-1980) gelernt, die Vegetation als ein gesetzmäßiges Mosaik von Artenverbindungen, also als Pflanzengesellschaften zu betrachten, die umfassender Ausdruck ihrer Standortbedingungen und ihrer Geschichte, und die unter Einbeziehung der Vegetation und Böden kartographierbar sind.
Im Jahre 1927 gründete R. Tüxen in Göttingen die „Floristisch-Soziologische Arbeitsgemeinschaft in Niedersachsen", die seit 1928 auch eine eigene Zeitschrift, die „Mitteilungen der Floristisch-soziologischen Arbeitsgemeinschaft" herausgab. Diese Floristisch-Soziologische Arbeitsgemeinschaft (FlorSoz AG) erlitt ab 1933 das Schicksal vieler selbständiger Vereinigungen. Nach wohl hinhaltendem Widerstand wurde sie 1938 in die „Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Pflanzensoziologie" überführt. Im Jahre 1941 wurde der „politisch unzuverlässige Tüxen", weil er kein Parteimitglied der NSDAP war, durch den Österreicher Prof. Dr. Erwin Aichinger (1894-1985) ersetzt (DIERSCHKE & REMY 2017). Im Jahre 1946 wurde die 1942 zwangsaufgelöste Arbeitsgemeinschaft von Tüxen unter dem Namen „Floristisch-Soziologische Arbeitsgemeinschaft" wiederbegründet. Tüxen blieb deren Vorsitzender bis 1971.
Nach seinem Ausscheiden aus dem Staatsdienst siedelte Professor Tüxen am 2. April1963 nach Rinteln/Todenmann in das Weserbergland um und richtete dort in seinem Haus eine eigene „private" Arbeitsstelle für theoretische und angewandte Pflanzensoziologie ein. Diese wurde dank seines hohen Ansehens und seiner unermüdlichen Schaffenskraft sowie des großen Verständnisses und der Hilfsbereitschaft seiner Gattin Johanna Tüxen, zu einer Stätte wegweisender Forschung und menschlicher Begegnung für viele Wissenschaftler aus aller Welt. Junge Ausländer, vor allem Japaner, gehörten nun zum Rintelner Stadtbild. Bis zu seinem Tod im Jahr 1980 führte er dort seine wissenschaftlichen Arbeiten fort.
Ehrungen:
1954: Kieler Kulturpreis
1959: Dr. h. c. Universität Montpellier
1964: Bundesverdienstkreuz
1965: Dr. h. c. Universität Lille
1975: Dr. h. c. Universität Gießen
1976: Alexander-von Humboldt-Medaille in Gold
1977: Dr. h. c. Fakultät für Biologie der Universität Freiburg
1978: Niedersachsenpreis in der Kategorie Wissenschaft (erstmals)
1978: Dr. h. c. Universität Toulouse
1979: Dr. h. c. Universität Hannover
1979: Ehrenbürger der Stadt Rinteln
Ehrenmitglied der Naturhistorischen Gesellschaft von Hannover
Ehrenmitglied der Königlichen botanischen Gesellschaft von Belgien, Schweden, Niederlande, Großbritannien
Ehrenmitglied der Botanischen Gesellschaft von Finnland und Frankreich
Ehrenmitglied der Societas Botanica Cechoslovaca
1979 Großes Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland 1. Klasse
Von 1953-1980 organisierte R. Tüxen die Symposien der „International Association for Vegetation Science". Durch diese Symposien machte er Rinteln als wissenschaftlichen Tagungsort international bekannt.
Mit Ratsbeschluss vom 28.03.1979 wurde Prof. Dr. Dres. h. c. Reinhold Tüxen in einer feierlichen Zeremonie am 10.04.1979 im Ratskeller von Rinteln die Ehrenbürgerschaft verliehen. Reinhold Tüxen ist bis heute der einzige Ehrenbürger Rintelns.
Reinhold Tüxen verstarb am 16. Mai 1980, wenige Tage vor Vollendung seines 81. Lebensjahres in Rinteln. Sein Grab befindet sich in Todenmann. Seine Freunde, Schüler und Kollegen in aller Welt, die ihn bis kurz vor seinem Tode noch in voller körperlicher Frische und in bewundernswürdiger geistiger Verfassung erlebt hatten, waren tief betroffen und trauerten um einen hervorragenden Wissenschaftler und Menschen. Viele Nachrufe aufR. Tüxen wurden veröffentlicht. Aus einem Nachruf des international renommierten niederländischen Vegetationswissenschaftlers Prof. Dr. Jan Johannes Barkman (1922-1990) auf Reinhold Tüxen aus dem Jahr 1981 wird auch seine politische Stellung während des 2. Weltkriegs deutlich.
Ich zitiere aus Vegetatio 48, Reinhold Tüxen (1899-1980): dort S. 88/89: „...thanks not only to his high scientific standard and the many international contacts and friends Tüxen had, but also to Tüxen's anti-Hitler attitude during the war, in which he managed to get several French colleagues-prisoners of the war-out of captivity...". Die Freistellung der französischen Kriegsgefangenen mag auch einer der Gründe für die vergleichsweise frühen Ehrendoktorate für Tüxen aus Frankreich sein: Montpellier 1959 und Lille 1966.
Seit Tüxens Tod erscheint die Zeitschrift der „Floristisch-Soziologischen Arbeitsgemeinschaft" jährlich unter dem Namen "Tuexenia".
Viele Ergebnisse seines Schaffens hat Reinhold Tüxen in über 520 Veröffentlichungen dargelegt. Sein Lebensweg wurde enorm gewürdigt: In bedeutenden wissenschaftlichen Gesellschaften des In- und Auslandes, vor allem in der Floristisch-Soziologischen Arbeitsgemeinschaft und in der Internationalen Vereinigung für Vegetationskunde, war er an führender Stelle tätig. Seine Verdienste sind von wissenschaftlichen Organisationen, Universitäten und Regierungen des In- und Auslands in Schriften und mit hohen Auszeichnungen, darunter auch mit der Alexander-von-Humboldt-Medaille in Gold der Stiftung FVS zu Hamburg, und mit den genannten zahlreichen Ehrendoktorwürden vielfach gewürdigt worden.
Seine besondere Zuneigung schenkte R. Tüxen den nordwestdeutschen Heidelandschaften in ihren so vielfältigen Erscheinungen und ihrem räumlich-zeitlichem Wandel. So kreuzte sich, wenn auch erst im letzten Jahrzehnt seines Lebens, sein Weg mit Dr. h. c. Alfred Toepfer (1894-1993), dem Mäzen des Heide-Naturschutzes. Aus dieser Begegnung entwickelte sich eine tiefe freundschaftliche Zuneigung und Verbundenheit. Mit Freude und großer Aufmerksamkeit beteiligte er sich an der Verwirklichung des Plans von Dr. h.c. Toepfer, im Naturschutzpark Lüneburger Heide ein Forschungsinstitut für Naturschutz zu errichten. Das ist die heutige Norddeutsche Naturschutzakademie (NNA), eine Einrichtung des Bundesländer Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Dem letzten Wunsch Tüxens entsprechend hat die Niedersächsische Landesregierung - die ihn 1979 als ersten Wissenschaftler mit dem Niedersachsenpreis ausgezeichnet hat - seine wertvollen wissenschaftlichen Sammlungen, darunter die Fachbibliothek, übernommen und damals in die NNA verbracht.
Tüxens Nachlass wird nun seit 1987 im Institut für Geobotanik der Leibniz Universität Hannover aufbewahrt. Die Tradition wird insoweit aufrecht erhalten, als die Stadt Rinteln seit 1987 ihren Reinhold-Tüxen-Preis an hervorragende in- und ausländische Pflanzensoziologen vergibt, dazu organisiert die Reinhold-Tüxen-Gesellschaft e.V. jeweils ein vegetationsökologisches internationales Symposium in Rinteln.
Literatur:
BARKMAN, J. (1981): Reinhold Tüxen (1899-1980), Vegetatio 48,87-91, The Hague, Netherlands
DIERSCHKE, H.& D. REMY (2017): 90 Jahre Floristisch-soziologische Arbeitsgemeinschaft (FlorSoz). Tuexenia 37, 9-45, Göttingen
WILMANNS, O. (1980): Reinhold Tüxen. Phytocoenologia 8(3/4), 5-20, Stuttgart, Braunschweig
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. Richard Pott
Leibniz Universität Hannover
Institut für Geobotanik
Nienburger Str. 17
D-30167 Hannover
Tel. ++49 (0)511-762-3632
Fax. ++49 (0)511-762-3633
Zum Zeitpunkt der Verleihung der Ehrenbürgerschaft war Professor Tüxen Geschäftsführer der „Freunde und Förderer der Pflanzensoziologie und der der Vegetationskartierung e.V." sowie Sekretär der „Internationalen Vereinigung der Vegetationskunde".
Reinhold Tüxen verstarb am 16.05.1980 in Rinteln. Sein Grab befindet sich in Todenmann.
Nach Tüxens Tod erschienen die "Mitteilungen" der Arbeitsgemeinschaft unter dem Namen "Tuexenia". Reinhold Tüxens Nachlass, den das Land Niedersachsen nach seinem Tode erwarb, wird nun im nun seit 1987 im Institut für Geobotanik der Leibniz Universität Hannover aufbewahrt.
verwaltet und aufgearbeitet.
Für seine wissenschaftlichen Verdienste erhielt Professor Tüxen zahlreiche Ehrungen:
1954 Kulturpreis der Stadt Kiel
1959 Dr. h. c. der Universität Montpellier
1964 Bundesverdienstkreuz
1965 Dr. h. c. der Universität Lille
1975 Dr. h. c. der Universität Gießen
1976 Alexander-von Humboldt-Medaille in Gold
1977 Dr. h. c. der Universität Freiburg/Breisgau
1978 Dr. h. c. der Universität Toulouse
1978 Niedersachsenpreis
1995 erfolgte die Namenswidmung eines Waldweges am Panoramaweg in Todenmann: Reinhold-Tüxen-Weg.
Die sowie die Reinhold-und-Johanna-Tüxen-Stiftung sind nach ihm benannt.
Die Stadt Rinteln ehrt den Wissenschaftler mit der Vergabe eines Reinhold-Tüxen-Preises.